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AutorenbildSilke Balsam-Wefer

Parentifizierung: Rollentausch im Elternhaus

Wieviel Erwachsensein kann ein einzelnes Kind ertragen? Welche Überforderungen gehen damit Hand in Hand? Welche Folgen gibt es? Welche Spuren sind auch im Erwachsenenalter noch spürbar?


Wir reden von Kindern, die schon von klein auf in Teilen Elternrollen übernehmen, die Aufgaben der Erwachsenen wahrnehmen: Sie halten die Familie zusammen, sie kümmern sich um die Geschwister, sie helfen im Haushalt. Diese Liste ist sehr vielfältig, und es handelt sich dabei nicht um Einzelfälle.


Unterschieden wird dabei grundsätzlich zwischen 2 Formen:

Instrumentelle Parentifizierung:


Kinder putzen, waschen Wäsche, kaufen ein, kochen das Essen und beaufsichtigen und erziehen sogar Geschwister.


Emotionale Parentifizierung:

Kinder sind Gesprächspartner für die Eltern, dienen mit Rat und Tat, suchen nach Lösungen, trösten, vermitteln in Konflikten. Sie sind Partnerersatz und Freund. Oft spüren Sie, wenn der Elternteil diese Hilfe benötigt. Sie nehmen unausgesprochene Aufträge wahr und kümmern sich. Sie entsprechen den Erwartungen der Eltern (-teile).

Die vollkommene Überforderung, die damit einhergeht, ist erheblicher / schädlicher als die instrumentelle Parentifizierung.


Warum tut denn keiner was? Wird dieses nicht von den Nachbarn oder Freunden wahrgenommen?


Wahrgenommen wird ein Kind, welches fleißig ist, hilft, macht und tut. Es wird von Außenstehenden sogar gelobt und in der Rolle bestätigt. Es ist ein regelrechtes Kind zum Vorzeigen. Das hat noch Keinem geschadet. Da mussten wir früher auch durch. Die Kinder von heute werden ohnehin zu sehr verwöhnt. So lauten oft die Kommentare.

Haben wir denn gar nichts aus unseren eigenen Erfahrungen gelernt? Wollen wir nicht genauer hinsehen?


Besonders gefährdet sind Kinder von Elternteilen mit psychischen Erkrankungen. Die Eltern stehen vor der Herausforderung, sich selbst „in den Griff zu bekommen“, finden keine therapeutische Unterstützung, die ihnen Halt geben kann.


Psychisch kranke Menschen sind emotional instabil und empathisch nicht die Stärksten. Sie können die Not ihrer Kinder nicht mehr wahrnehmen.


Ein ähnliches Bild zeichnet sich ab, wenn die Eltern mit einem Kind überfordert sind, das schwer krank ist. Die Eltern sind mit ihren Ressourcen am Limit. Dieses nimmt das gesunde Kind wahr und passt sich an die Rahmenbedingungen an. Es funktioniert. Es übernimmt in den Teilen, die die Eltern nicht mehr leisten können, die Elternrolle. Etwas Ähnliches geschieht, wenn ein Elternteil schwer / dauerhaft erkrankt.


Auch nach einer Trennung der Eltern werden die Rollen neu gemischt. Ein Partner fehlt. Die Aufgaben werden an die Kinder weiter gereicht. Das Kind wird zum Gesprächspartner, zum Seelentröster und Kummerkasten.


Bereits in den zahlreichen Streitigkeiten, die einer Trennung vorausgehen, werden Kinder zwischen die Fronten gezogen. Sie werden als Zeugen missbraucht und geraten in eine Rolle, die sie permanent überfordert.


In all den geschilderten Konstellationen und Umständen haben die Eltern es ja ohnehin schon schwer genug. So dürfen die Kinder ihren Eltern nicht auch noch Sorgen bereiten.

Diese Erfahrungen, die Kinder mit ihren Eltern gemacht haben, sind nicht nur grundlegend für ihre eigenen Beziehungen. Sie sind auch ganz entscheidend dafür, wie sie mit ihren eigenen Kindern umgehen werden. Auch hier wird von einer generationsübergreifenden Reichweite gesprochen. Diese kann durchaus weniger offensichtlich sein, aber dennoch eine Dynamik entwickeln.


Die Kinder verwirklichen dann die nie erreichten Ziele ihrer Eltern unter dem Deckmantel: Ihr sollt es einmal besser haben als ich. Hierunter fällt auch ein Phänomen, das sich in den sozialen Medien ausbreitet. Mütter formen ihre Töchter zu einer Miniausgabe ihrer selbst und fotografieren sich als „Zwillingspaar“. Auch hier nehmen die Töchter, um ihrer Mutter zu gefallen, eine Erwachsenenrolle ein.


Es geht immer darum zu erkennen, wann es zu viel wird für das Kind. Hinzuschauen, wenn es keine Erziehung hin zur Selbstständigkeit ist und keine angemessene Herausforderung mehr. Wenn die Kinder ihr Kindsein, ihre Kindheit aufgeben. Wenn die Krise in der Familie auf Grund einer Überforderung der Eltern zur Rollenumkehr in der Familie führt.

Wenn die Kinder auf ihre Kosten nicht mehr in die Schule gehen oder diese vernachlässigen, wenn sie keine Freunde oder keine Hobbies mehr haben. Wenn sie alles aufgeben, um die Familie zu retten.


Wenn die Kinder sich nicht mehr auf die Eltern verlassen können, ihnen nicht mehr trauen können. Wenn die Kinder und ihre Bedürfnisse nicht mehr gesehen werden. Dann ist eindeutig eine Grenze überschritten. Dann reden wir von Überforderung und Missbrauch. Dem Kind wird etwas zugemutet und zwar dauerhaft, das seine Fähigkeiten bei weitem übersteigt.


Besonders heikel dabei ist, dass dieses oftmals gar nicht im Außen sichtbar wird.  Die Erwachsenen nehmen sehr selbstständige, unauffällige Kinder wahr. Die Kinder selbst können es nicht benennen. Sie merken, dass etwas nicht richtig ist, sind es aber nicht anders gewohnt.


Die Folgen / Mechanismen:


Zum einen lernt das Kind, dass es etwas bewirken kann. Es bekommt die Rückmeldung, dass es gebraucht wird, dass es ein wertvolles Mitglied der Familie ist. Es fühlt sich hilfreich, allerdings nur unter der Voraussetzung, dass es etwas Nützliches leistet.

Diese Leistung erinnert das Kind allerdings immer wieder daran, dass es seine Grenzen überschreitet. Es fühlt sich minderwertig und schuldig. Egal, was es macht, es reicht nicht aus, um die Überforderung der Elter zu verhindern.


Was ist zu tun? Wie kann ich zu einer Versöhnung mit meinen Eltern, mit meiner Vergangenheit kommen? Bin ich überhaupt davon betroffen? Hinweise geben folgende Fragen:


1. Sie haben alles unter Kontrolle, sind perfektionistisch?

2. Sie helfen immer, haben ein großes Pflichtgefühl, fühlen sich jedoch oft ausgenutzt?

3. Sie kennen Ihre eigenen Bedürfnisse nicht oder finden diese unwichtig?

4. Sie empfinden Schuld und Angst?

5. Sie sind harmoniesüchtig, empathisch und führen symbiotische Beziehungen?

 

Kommt ihnen das bekannt vor? Ist Ihnen das mehr als vertraut? Was gibt es zu tun?

 

Die wichtigste Aufgabe besteht darin, eigene Bedürfnisse wahrzunehmen, sie zu erkennen und ihnen nach zu gehen, sie zu befriedigen. Ja, Sie dürfen das! Stellen Sie sich Fragen, nehmen Sie sich wahr, erforschen Sie sich.


Schreiben Sie ein Tagebuch, in dem Sie Ihre Beobachtungen festhalten. Lernen Sie Ihre Grenzen kennen und treten Sie für sich ein.


Betrachten Sie die gemachten Erfahrungen aus einem anderen Blickwinkel. Versöhnen Sie sich mit diesem Kind in Ihnen, das nie ein Kind sein durfte. Nehmen Sie es wahr, erkennen Sie den Verlust und Ihre Erfahrungen damit an.


Sie haben viele Ressourcen aufgebaut. Nutzen Sie diese für sich, üben Sie, haben Sie Geduld mit sich selbst. Lassen Sie sich Zeit, denn Veränderungen benötigen diese.


Sollten Sie das Gefühl haben, dass Sie gern mit Jemanden darüber sprechen möchten – auf welchem Weg auch immer -, der genügend Abstand dazu hat, der Ihnen professionell zur Seite steht, um das Geschehene zu verarbeiten und neue Wege zu erkennen, vereinbaren Sie gern einen Termin mit mir, online oder klassisch.



Viele Grüße aus der Praxis Pinneberg

Ihre Silke Balsam-Wefer

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